Szenografie

Das im Fokus der Zuschauer aufgespannte Bühnenbild, das einen ‚anderen‘ Raum als den des Theaters vergegenwärtigen kann, ist ein ästhetisches Modell, das bereits Vitruv auf die Baukunst übertragen hat. In diesem Sinne kann eine Stadtanlage oder Häuserzeile szenografisch als Kulisse oder Schauplatz gestaltet und aufgefasst werden. Naheliegend ist damit nicht nur im Falle der so genannten Repräsentationsarchitektur der Bezug auf mögliche Handlungen und Akteure – auf eine soziale ‚Szene‘.

Von der Mal- und Zeichen- sowie von der Bühnen- und Baukunst führt die Verwendungsgeschichte des Begriffs einerseits zum Filmset und zum Ausstellungsdesign, andererseits aber auch zur Narratologie und Semiotik. So versteht Umberto Eco unter einer literarischen Szenografie – Fachtermini der Kognitionswissenschaft aufgreifend – jene Kopplung von Verständnisrahmen (frames) und Drehbüchern (scripts), die dazu führt, dass eine Ortsbezeichnung wie ‚Supermarkt‘ zugleich als kondensierte Geschichte und als virtueller Text gelten kann (s. Lector in Fabula, München, Wien 1987: 99f.). In den frames sind die an diesem Ort üblichen Verhaltensregeln in Verbindung mit der (mehr oder weniger schematischen) Vorstellung von einem Schauplatz (setting) abgespeichert, so dass man von verdichteten Erfahrungen sprechen kann , die sich erzählen lassen (stories); zugleich lassen sich aus diesen Erfahrungen respektive Erzählungen jedoch weitere Handlungsoptionen und Geschehensabläufe (plots) ableiten, die z.B. dem Drehbuch ‚Im Supermarkt einkaufen‘ folgen. Es liegt auf der Hand, dass der Rekurs auf Szenografien ein ebenso ökonomisches wie effektives Mittel ist, den Chronotopos einer Erzählung zu konkretisieren.

Der interdisziplinären Genese des Szenografie-Konzepts entspricht die Vielfalt seiner aktuellen Applikationen. Darin liegt sowohl eine pragmatische Stärke, als auch eine theoretische Schwäche dieses Konzepts, die Anlass zu weiteren Untersuchungen gibt. Die Flensburger Forschungen zielen eher auf eine fallweise Erkundung des transversalen Beschreibungs- und Erklärungspotentials des Szenografie-Begriffs als auf seine definitorische Beschränkung ab. Künstlerisch produktiv scheint jedenfalls – diachron wie synchron betrachtet – gerade die metaphorische (bzw. metamorphotische) Kraft zu sein, die das Konzept in unterschiedlichen Zusammenhängen entfaltet.

In der Lehre werden Studierende in fächerübergreifenden Lehrveranstaltungen dazu angehalten, szenografische Formen der Dar- und Vorstellung plastisch oder imaginär auszuprobieren und auf jene Wechselwirkungen zwischen Künsten und Wissenschaften zu achten, die sich mit Blick auf das Entwerfen, Gestalten und Auslegen von Schauräumen medien- und diskursspezifisch ergeben.

 

Veröffentlichungen zur Szenografie von Matthias Bauer:

  • (2016). „Immersive Exhibition Design. Titanic Belfast and the Concept of Scenography.” In: Immersion in the Visual Arts and Media. Ed. by Fabienne Liptay / Burcu Dogramaci. Leiden, Boston 2016, p. 345-382.
  • (2016). „Szenopragmatik”, in: VZKF Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik | Online. 2 / 2016, S. 7-37: http://www.kultursemiotik.com/wp-content/uploads/2016/09/SKMS_Gesamtausgabe_No2-2016-1.pdf
  • (2015). „Stadtbild und Stadttext. Zur Wechselwirkung von Intermedialität und Urbanität bei Adalbert Stifter und anderen.“ In: Zwischen Gattungsdisziplin und Gesamtkunstwerk. Literarische Intermedialität 1915-1848. Hrsg. v. Stefan Keppler-Tasaki und Wolf Gerhard Schmidt. Berlin, München, Boston 2015, S. 143-172.
  • (2014). „Szenarien virtualisierter Historie im rezenten Kino- und Fernsehfilm.“ In: Trial and Error. Szenarien medialen Handelns. Hrsg. v. Andreas Wolfsteiner und Markus Rautzenberg. Paderborn 2014, S. 131-148.
  • (2013). „Widerhall der Erinnerung. Der szenografische Akt des mündlichen Erzählens.“ In: Peter Kurzeck. Text + Kritik 199 (2013), S. 47-57.
  • (2011). „Diesseits und jenseits der Künstlerlegende. Überlegungen zur Dramaturge, Ikonografie und Szenografe von Filmen, die sich mit dem Lebenswerk von Malerinnen und Malern beschäftigen.“ In: Fabienne Liptay; Susanne Marschall; Henry Keazor (Hrsg.): FilmKunst – Studien an den Grenzen der Künste und Medien. Marburg 2011, S. 88-121.
  • (2011). „Grotte, Park und Wunderkammer. Zur ‚Wiederkehr‘ barocker Szenographien.“ In: Frühe Neuzeit – Späte Neuzeit. Phänomene der Wiederkehr in Literaturen und Künsten ab 1970. Hrsg. v. Nordverbund Germanistik. Bern u.a. 2011, S. 109-125 (=Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge Bd. 24).
  • (2010). „Narration, Dramaturgie und Szenografie. Was der Fernsehmehrteiler Simplicissimus (1975) von Grimmelshausens Erzählkunst ‚zeigt‘.“ In: Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 32/2010, S. 251-268.
  • (2010). „Diagrammatology, Scenographic Media, and the Display Function of Art.”In: Olga Pombo / Aleander Gerner (eds.): Studies in Diagrammatology and Diagram Praxis. London 2010 (= Studies in Logic. Logic and Cognitive Systems. 24), p. 125-142.
  • (2010). „Schiffbruch mittels Zuschauer. Dramaturgie – Szenografie – Anthropologie.“ In: Roman Mauer (Hrsg.): Das Meer im Film. Spiegel, Grenze, Übergang. München 2010, S. 143-164.
  • (2005). „Die ‚Szenographie‘: ein Schlüsselbegriff der Kultur-, Kognitions- und Bildwissenschaft.“ In: Geist & Natur. Forschungsmagazin der Johannes Gutenberg-Universität 1/2005, S. 41-45.
  • (2003). „Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit – Medien der Kulturpoetik. Zum Verhältnis von Kulturanthropologie, Semiotik und Medienphilosophie.“ In: Perspektiven interdisziplinärer Medienphilosophie. Hrsg. v. Christoph Ernst, Petra Gropp, Karl Anton Sprengard. Bielefeld 2003, S. 94-118.