Exkursion GiG-Kongress 2017

 

Interkulturelle Transferprozesse –
Internationale Deutungshorizonte

 

 

Exkursion nach Husum (Storm-Haus und Nissen-Ausstellung) sowie Friedrichstadt am 12.9.2017

„Dat gift keen Land so grün un so schön“, lautet die erste Zeile in einem Gedicht von Klaus Groth, das sich auf die Gegend zwischen seinem Geburtsort Heide an der Nordsee und seinem Wohnort Kiel an der Ostsee bezieht. Die nach ihrer alten Hauptstadt Schleswig benannte Gegend reicht heute von südlich des Nordostseekanals bis an die Grenze von Deutschland und Dänemark, die zu großen Teilen entlang der Flensburger Förde verläuft. Es ist eine literarisch imprägnierte, vielfach beschriebene Landschaft:

Während Klaus Groth seine niederdeutschen Verse schrieb, reiste Fontane mit dem Schiff von Flensburg nach Kopenhagen; später siedelte er die Handlung seines Romans Unwiederbringlich (1891), in dem Groth lobend erwähnt wird, auf Seeland, in der Fördestadt und auf der nahe gelegenen Halbinsel Holnis an. Bei anderer Gelegenheit traf Fontane sich in Husum mit Theodor Storm, dessen Novelle Im Nachbarhause links (1875) ebenfalls in Flensburg spielt – nur wenige Gebäude von jenem Hotel Rasch am Nordermarkt entfernt, in dem vor Fontane bereits Hans Christian Andersen abgestiegen war.

Zu Storms Husumer Bekannten gehörten der Nobelpreisträger Theodor Mommsen und Ferdinand Tönnies, der Begründer der deutschen Soziologie. Und auch Margarete Böhme, die Verfasserin jenes Tagebuchs einer Verlorenen (1905), das Georg Wilhelm Papst 1929 mit Louise Brooks in der Titelrolle verfilmte, stammt aus der Gegend, die sich zwischen Schley-Mündung einerseits und Wattenmeer andererseits erstreckt. Die von Siegfried Lenz mit ironischer Sympathie beschriebene Flensburger Förde liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen dem flachen Marschland Richtung Westen und dem hügeligen Angeln im Osten. Jochen Missfeldt, der unter anderem eine literarische Storm-Biografie verfasst hat, lässt viele seiner Geschichten in diesem Landstrich spielen, darunter den Roman Steilküste. Ein See- und Nachtstück (2005), der vom Ende des Zweiten Weltkriegs und von der Exekution zweier Matrosen erzählt, die einfach nur nach Hause wollen, als der Wahnsinn endlich zu Ende geht. Doch in Flensburg regiert noch der von Hitler eingesetzte Admiral Dönitz.

Die Exkursion der GiG-Tagung 2017 führt von Flensburg nach Husum – vorbei an jenem Schloss, in dem Franziska von Reventlow ihre Kindheit verbrachte – zum Storm-Haus, wo in diesem Jahr der 200. Geburtstag des Dichters gefeiert wird. Von dort geht es zur Ludwig Nissen-Ausstellung in das Nordsee-Museum. Nissen, in Husum geboren, ging 1872 in die USA, machte dort ‚a fortune‘, wurde ein einflussreicher Mann, der regelmäßig mit Präsident Roosevelt verkehrte und leistete sich gegen Ende seines Lebens jene Sammlung, die den Grundstock des Nordsee-Museums bildet.

Während Nissen zu den zahlreichen Menschen gehörte, die im 19. Jahrhundert mangels Aussichten auf ein Auskommen in ihrer Heimat in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auswandern mussten, kamen ab 1621 Angehörige verschiedener Minderheiten, die in ihren Herkunftsländern verfolgt oder lediglich geduldet wurden, in die neu gegründete Siedlung Friedrichstadt mit ihren zwischen Treene und Eider angelegten Grachten. Schon bald galt der Ort, in dem sich Remonstranten und Mennoniten, Juden und Katholiken, Herrnhuter, Quäker und andere Religionsgemeinschaften unter dem Schutz der protestantischen Herzöge von Schleswig ansiedeln durften, als ‚Stadt der Toleranz‘. Auf dem Marktplatz der kleinen, aber architekturhistorisch bedeutsamen und in puncto Interkulturalität beispielhaften Gemeinde steht noch heute ein zierlicher Brunnen – verziert mit Versen, die Klaus Groth eigens für diesen Brunnen geschmiedet hat.

Damit schließt sich der Kreis der Exkursion, die nach dem Kanon-Prinzip organisiert wird – fast, denn zum Schluss kehren alle, ob sie mit dem Bus zunächst nach Friedrichstadt oder Husum, zum Storm-Haus oder zur Nissen-Ausstellung gefahren sind, im Roten Haubarg ein. Dieser Hof wurde als Einheit von Scheune, Viehstall und Wohnhaus errichtet – der Legende nach unter tätiger Mithilfe des Teufels. Heute kann man dort verdammt gut speisen, und genau das soll dort auch zum Abschluss der Exkursion, vor der Heimfahrt nach Flensburg, geschehen, um die Tageseindrücke genüsslich zu besprechen und in geselligem Kreise zu verdauen.

 

Abb. 1 Nordseemuseum Nissenhaus, Husum

Abb. 23 Alte Münze, Friedrichstadt (Fotos: Helga Schulz)

Abb. 45 Storm-Haus, Husum

 

Programmpunkte:

  • Besuch im Storm-Haus (Husum)

Das Museumsgebäude ist ein altes Husumer Kaufmannshaus mit 14 Zimmern. Es stammt aus dem Jahre 1730. Flure, Decken und Türen sowie das Treppenhaus, das typisch für ein Alt-Husumer Bürgerhaus ist, sind im Originalzustand erhalten. Theodor Storm lebte hier von 1866 bis 1880. Das Storm-Haus zeigt die authentische Lebenswelt des Dichters: Ein Besuch führt durch die Wohn- und Arbeitsräume, Storms ‚Poetenstübchen‘, die historische Landvogtei sowie Hof und Garten. Im ‚Poetenstübchen‘ entstanden u.a. die Novellen „Pole Poppenspäler“ und „Der Schimmelreiter“.

  • Besuch im Nissen-Haus/Nordsee-Museum (Husum)

Wie keinem anderen schleswig-holsteinischen Auswanderer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang Ludwig Nissen (1855-1924), nach dem das Nordsee-Musum in Husum benannt ist, in den USA der wirtschaftliche und soziale Aufstieg. Testamentarisch äußerte Nissen 1915 erstmals den Wunsch, in seiner Vaterstadt Husum eine kulturelle Einrichtung zu schaffen. 1920 reiste er aus den USA nach Husum und machte seine Pläne im folgenden Jahr öffentlich. Nissen dachte an ein Volkshaus mit einer Bibliothek, an ein volkskundliches Museum sowie an eine Kunstgalerie. Es war dies eine kulturelle Idee, die mit ihrer gelungenen Umsetzung nicht nur vor Ort, sondern an der gesamten schleswig-holsteinischen Westküste kulturelle Prägekraft errang. Der heutige Sammlungsbestand beinhaltet, neben bildender Kunst, vor allem die existenzbestimmenden Fragen des Deichbau- und Küstenschutzes einschließlich der 1362 in einer Sturmflut untergegangenen Stadt Rungholt sowie volkskundliche Themen der Uthlande.

  • Grachtenfahrt (Friedrichstadt)

Friedrichstadt wurde 1621 durch Herzog Friedrich III. gegründet und ist heute ein hochrangiges Kulturdenkmal. Herzog Friedrich III. zielte auf die Errichtung einer Handelsmetropole und holte dazu niederländische Bürger, besonders die verfolgten Remonstranten, an den Ort und gewährte ihnen Religionsfreiheit. Infolge dieser Maßnahme siedelten sich auch Mitglieder vieler anderer Religionsgemeinschaften in Friedrichstadt an, so dass sich der Ort schnell den Ruf als ‚Stadt der Toleranz‘ verdiente. Die von den Holländern angelegten zahlreichen Grachten machten Friedrichstadt zum ‚Venedig des Nordens‘. Auf einer ca. 45-minütigen Bootsfahrt wird über die religiöse und kulturelle Vielfalt sowie die bewegte Geschichte der kleinen Stadt informiert.

  • Besuch im Museum ‚Alte Münze‘ (Friedrichstadt)

Im Stadtmuseum „Alte Münze“, einem der schönsten und ältesten Gebäude Friedrichstadts, erfahren Sie alles zur bewegten Geschichte der fast 400 Jahre alten Holländerstadt. Stadtgründung, religiöse Vielfalt und das Alltagsleben in den unterschiedlichen Epochen werden in der modern gestalteten Ausstellung auf drei Ebenen vorgestellt. Zudem ist ein Blick in die Mennonitenkirche, das Gotteshaus der kleinsten Friedrichstädter Glaubensgemeinschaft, möglich.

  • Abendessen im Roten Haubark (Witzwort)

Der Rote Haubarg ist ein historischer Bauernhof aus dem 17. Jahrhundert und liegt auf der Halbinsel Eiderstedt. Entgegen seinem Namen, ist er nicht rot, sondern weiß, gedeckt mit einem riesigen Reetdach. Der Haubarg ist mit einer Firsthöhe von 17 Metern ungewöhnlich hoch. Er hat wie alle Haubarge einen rechteckigen Grundriss, insgesamt 99 Fenster und steht auf acht Ständern. Das Restaurant befindet sich in den ehemaligen Wohnräumen.